Es war einmal ein kleiner Wilbert.
Der lebte in einem Land hinter den sieben Wolkenbergen, bei den sieben Wolkenzwergen …
Wäre es ein Märchen, dann könnte es so beginnen. Ein Märchen ist es aber nicht, sondern die reale, faszinierende Geschichte von einem damals kleinen Jungen, unserem bis heute junggebliebenen Fliegerkollegen Wilbert van Laar aus Landgraaf.
Bereits als kleiner Junge mit 6 Jahren war er fasziniert von Flugzeugen und allem Technischen, was sich mittels Motorkraft fortbewegt. Neben seiner Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern hat er bereits mit 8 Jahren in jeder freien Minute die Motoren von Mofas und Motorrädern repariert und „optimiert“. Mit 16 Jahren wurde ihm nachgesagt:
„Irgendwann baut der Kerl auch Flugzeuge“.
Als Erwachsener interessierten ihn vorwiegend Autos, Traktoren und selbstgebaute „Racing Cars“.
28 Jahre lang blieb Wilbert diesem Hobby treu und hat sich damit einen Namen als Spezialist für Technik und Entwicklung von Rennfahrzeugen und Rennmotoren gemacht.
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Das alles natürlich nur in seiner Freizeit. Beruflich ist er selbständiger Landwirt im Erbeeranbau und dort ebenfalls erfolgreich.
Eines Tages bei der Arbeit auf dem Feld sah er einem überfliegenden Flugzeug noch lange nach und sagte sich: „Sowas möchte ich auch mal selber bauen.“
1992 kam dann sozusagen die Initialzündung. Bei einem Schnupperflug mit einer Cessna hat er „Lunte gerochen“.
1994 hörte er von den Ultraleichtflugzeugen und deren Möglichkeiten. Sein Traum wurde immer klarer.
1999 besuchte er Luftfahrtmuseen und studierte die Konstruktion der alten Flieger.
2001 begann er mit seinem Kursus im Ultraleichtflug und er war beeindruckt, wie viele Selbstbaupakete und Bausätze es gab.
2008 kaufte er sich die Enzyklopädie der Luftfahrt und studierte die Theorie des Fliegens 9 Monate lang.
In den darauffolgenden Jahren hat er viele Flugplätze und Hangare besucht und sich so am „lebenden Objekt“ ständig weitergebildet.
Unter den verschiedenen Konstruktionsprinzipien interessierten ihn vorwiegend die Arbeiten von Henry Mignet, der sich bereits 1920 mit der Entwicklung neuer Steuerungsprizipien auseinandergesetzt hat, mit dem Ziel, die Gefahr des Trudelns nach Überziehen der Maschine zu minimieren.
Mignet vereinfachte die Steuerung, indem er in seinem Modell das Höhenruder abschaffte, welches beim regulären 3-Achser im hinteren Teil der Maschine (Leitwerk), oder auch wie bei anderen, zum Beispiel dem „Canard“ vorne angebracht ist. Weiterhin hatte Henry Mignet in seinem Modell das Querruder weggelassen.
Stattdessen bestand die Konstruktion aus zwei etwa gleich langen, hintereinander liegenden Flächen, von dem die hintere Fläche starr ist, und bei der vorderen der Anstellwinkel verändert werden kann. Die fehlenden Querruder wurden durch ein vergrößertes Seitenruder kompensiert. Das Ergebnis war ein Flugzeug, welches nur über zwei Achsen gesteuert wird. Vertikal reguliert der Steuerknüppel den Anstellwinkel der vorderen Fläche, horizontal regulieren die Pedale das vergrößerte Seitenruder. Dieses Modell besitzt eine automatische Querstabilität, legt sich sozusagen automatisch in die Kurve und läßt das gefährliche Trudeln praktisch nicht mehr zu. Den ersten Flieger, der dieses Prinzip vollständig umsetzte, nannte Mignet : „Le Pou du Ciel“, übersetzt: die „Himmelslaus“. Später folgten weitere Modelle dieses legendären Zweiflüglers.
Nach reiflicher Überlegung und in vollständig nüchternem Zustand hat Wilbert van Laar sich gesagt: „So etwas kann ich auch selbst bauen. Jetzt muss es passieren, bevor ich zu alt dafür bin!“
Sein Entschluß war gefaßt; er wollte sein eigenes Flugzeug bauen, exakt nach Vorbild und Funktionsprinzip eines Zweiflüglers von Henry Mignet.
Kurzentschlossen kaufte er sich ein Exemplar der Himmelslaus, eine Pou du Ciel HM-293, um das Konstruktionsprinzip und die Dynamik weiter im Flug zu studieren.
In 2011 begann Wilbert, seinen lange gereiften Plan in die Tat umzusetzen, und zwar mit eigenen Fähigkeiten, eigenen Mitteln und möglichst einfach zugänglichen Materialien, welche größtenteils im Baumarkt zu finden sind, natürlich mit Ausnahme des Motors.
Als tragende Teile des Korpus und der Flächen wurden Aluleitern verwendet. Das Fahrwerk sollte aus Schaufelstielen, Axtstielen und Gummiseilen bestehen. Weiterhin fand natürlich Bau-Styropor zur Konstruktion der Flügelprofile Anwendung , ein umgebauter Gartenstuhl als Pilotensitz, Nieten, Zweikomponentenkleber, eine Suppenkelle als Spornrad-Ersatz und viele weitere Bestandteile, allesamt im Baumarkt zu bekommen. Die Motorisierung bestand aus einem Jabiru 2200 80PS.
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Vier Jahre später, nach insgesamt 1002 Baustunden in der Werkstatt und unzähligen Stunden der Diskussion, der Prüfung, des Verwerfens und Neuplanens was es dann soweit: Wilberts Leiterflugzeug war im August 2014 fertig zum Jungfernflug.
Aus Laiensicht bestanden nicht die besten Voraussetzungen zum Gelingen des Projektes:
1) Es war ein Einzelstück ohne vorherige Flugerprobung.
2) Es wurden keine aufwendigen Computerberechnungen zu Stabilität, Festigkeit und Luftwiderstand etc. durchgeführt.
3) Die eingesetzten Materialien aus dem Baumarkt waren völlig artfremd und in Bezug auf den Flugzeugbau völlig neu.
4) Als Planungsgrundlage diente ein einziges Blatt Papier und ein Bleistift.
5) Der Konstrukteur hatte keineswegs Luftfahrttechnik studiert, sondern ist von Beruf Landwirt.
Immerhin wurde das Flugzeug einer brutalen Belastungsprobe unterzogen, und zwar mit 90 Säcken Erdbeer-Kunstdünger, insgesamt 1,8 Tonnen, auf die Flächen verteilt plus dem Gewicht von 6 aufsitzenden Personen (siehe 4. und 5. Bild oben).
Am Ende blieb nur die durchaus berechtigte Frage: „Fliegt das Ding jetzt, oder nicht?“
Am 28.08.2014 hat Wilbert die Frage konsequent und grandios beantwortet.
Nach mehrmaliger Kontrolle der Gewichtsverteilung bei geplanter Zuladung inkl. Tankfüllung etc., (übrigens bei diesem Konstruktionsprinzip ein sehr kritischer Faktor), nach letzter Kontrolle der Steuermechanik und im völlig nüchternen Zustand stieg Wilbert in sein Fluggerät, ließ ohne Zögern die 80 PS seines Jabirumotors in vollem Umfang hören, um dann auf unserer 280m Bahn des UL-Flugclubs Heinsberg-Selfkant noch vor der Halbbahnmarkierung in der Luft zu sein. Völlig stabil und ohne Probleme, so, als wäre es ein Serienmodell seines berühmten Vorbilds aus Frankreich.
Nach stabilem Geradeausflug drehte Wilbert mit seinem Leiterflugzeug einige hohe Platzrunden, um bei weiteren Touch’n Go’s die Manövrierleistung seiner Konstruktion zu demonstrieren. Die Landung war soweit (fast) perfekt. Es zeigte sich, daß das Spornrad noch weiter optimiert werden mußte; Die Maschine drehte beim Ausrollen leicht rechts herum.
Kein Problem, nur noch ein wenig Arbeit.
In der Mathematik heißt sowas:
„Q.E.D. “ (quod erat demonstrandum)
(übersetzt: „Was zu beweisen war“).
Auf Italienisch einfach „Basta“
Auf Französisch „Voilà“
Auf Nordrheinwestfälisch: „dä!“
Auf Niederländisch „Niet praate, maar doen“
Wie auch immer man das Projekt beurteilt, für uns ist unser „verrückter Wilbert“ mit seinem Leiterflugzeug ein Beispiel dafür, daß das scheinbar Unmögliche möglich wird, wenn wichtige Voraussetzungen erfüllt sind.
– Die Entscheidung für den richtigen Weg
– Die Fähigkeit, an Vorbildern zu lernen
– Die Abstraktionsfähigkeit, Prinzipien zu erkennen und in die Praxis umzusetzen.
– Eine Menge Ausdauer, das einmal Begonnene zum Ende zu führen:
– Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die Qualität der eigenen Arbeit.
Vielen Dank an unseren Vereinskollegen Wilbert van Laar für diese eindrucksvolle Demonstration, wie man aus scheinbar verrückten Ideen Realität macht.
Wilbert’s Traum vom Fliegen ist jetzt Realität und (an)faßbar geworden. Er hängt wohlbehütet im Heinsberger Hangar in Form seines Leiterflugzeugs. Das wartet auf seinen nächsten Einsatz. Die nächsten Pläne sind sicher schon im Kopf.
Hut ab!
Deine Koempels